Lorenz von Meiss
Wenn Eltern sich nach erfülltem Kinderwunsch dazu entschliessen, beide arbeitstätig zu bleiben, stellt sich ihnen schnell die Frage, wie sie Kind und Karriere unter einen Hut bringen. Vielleicht haben beide Elternteile langjährige Ausbildungen absolviert und darin viel Zeit und Geduld investiert. Sie wollen nach der Geburt des Kindes ihr berufliches Schaffen nicht an den Nagel hängen und «nur» noch für das Wohlergehen ihres Sprösslings sorgen.
In der Schweiz existiert glücklicherweise eine Vielzahl an familienergänzenden Betreuungsangeboten, um diesen oftmals sehr anstrengenden Spagat zwischen Elternsein und beruflicher Ausübung zu meistern. So gibt es Tagesfamilien, Nannys, Spielgruppen oder Kindertagesstätten, kurz Kitas, in welchen Kinder durch ausgebildete und geschulte Personen den ganzen Tag hindurch professionell und pädagogisch wertvoll betreut werden.
Das eigene Kind in einer Kita betreuen zu lassen, ermöglicht den Eltern, tagsüber ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und so die finanzielle Grundlage für das Familienleben zu schaffen. Für viele Eltern sind Kitas somit Grundvoraussetzung, um das Leben mit Nachwuchs finanziell stemmen zu können.
Die Stiftung GFZ (Gemeinnützige Frauen Zürich) mit Sitz am Zeltweg in Zürich bietet Eltern von kleinen Kindern genau solche Betreuungsangebote in 16 Kitas und Tagesfamilien in allen Quartieren. Hier kümmern sich die Mitarbeitenden um rund 2000 Kinder und ermöglichen Eltern so, ihre berufliche Tätigkeit weiter ausüben zu können.
Zudem ist die Ausbildung im Fachbereich Kinderbetreuung zentrale Stiftungsaufgabe, welche jährlich rund 100 Ausbildungsplätze bietet. Geschäftsführerin Doris Zobrist kennt die Herausforderungen, welche Kitas heutzutage zu meistern haben. Denn wie etwa in der Gastronomie oder den Gesundheitsberufen ist auch das Geschäftsfeld der externen Kinderbetreuung schon seit längerem von einem Fachkräftemangel betroffen: «Um das Angebot an Kita-Plätzen weiterhin aufrechterhalten zu können, sind wir nach wie vor sehr bemüht, ausreichend und qualifiziertes Personal zu rekrutieren», sagt Doris Zobrist.
Betreuungskrise abwenden
Das eigentliche Angebot an Kita-Plätzen ist, vor allem in urbanen Gegenden, zwar ausreichend vorhanden, jedoch gestaltet sich das Finden von geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als zunehmend schwierig. Martin Käser, Leiter eines Kita-Verbunds der Stiftung GFZ, erklärt, mit welchem Dilemma eine Kita plötzlich konfrontiert sein kann: «Wenn eine Kita innert eines kurzen Zeitraums gehäuft Personal verliert, beispielsweise durch Abwanderung in andere Branchen, und diese Vakanzen nicht zeitnah wieder ersetzen kann, besteht irgendwann die Gefahr, dass das betreuerische Angebot nicht mehr im gewohnten Umfang aufrechterhalten werden kann», so Käser.
Sollte der geschilderte Fall eintreten, spricht man von einer Betreuungskrise, will heissen, in einer Kita sind schlicht zu wenig ausgebildete Kräfte, um die anwesenden Kinder ausreichend, gesetzeskonform sowie qualitativ hochstehend zu betreuen. Dies setzt die Kitas wie auch die Eltern unter grossen Druck, weil die nahtlose Betreuungsleistung der Kinder gefährdet wird.
Die Gründe für das rückläufige Interesse an Betreuungsberufen sind unterschiedlich. Einerseits zögern junge Menschen, sich für den Beruf zu entscheiden, weil die Arbeitszeiten unflexibel und die Arbeitsbedingungen anspruchsvoll sind: «Die Generation Z ist dafür bekannt, dass sie möglichst flexibel arbeiten möchte, doch in einer Kita ist ziemlich genau bestimmt, wann der Dienst beginnt und wann er endet», sagt Zobrist.
In den unflexiblen Arbeitsbedingungen sieht sie daher wenig Möglichkeit anzusetzen. Ein weiterer Punkt sind die begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Berufes. Hier sieht die Geschäftsführerin aber Ansätze, das Berufsbild attraktiver zu gestalten: «Weil die Stiftung GFZ eine grosse Organisation ist, können wir beispielsweise die tertiäre Ausbildung an der höheren Fachschule für Kindheitspädagogik anbieten oder schaffen neue Stellen, wie etwa jene der pädagogischen Leitung in einer Kita», sagt Zobrist. In der Fachsprache nennt sich diese attraktivere Gestaltung beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten «Jobenrichment».
Und natürlich steht da auch noch die, verglichen zur grossen Verantwortung, relativ tiefe Entlöhnung, die eine Arbeit in einer Kita unattraktiv erscheinen lässt. Martin Käser sagt dazu: «Mit den Verdienstmöglichkeiten in der Branche ist jemand dazu gezwungen, hochprozentig zu arbeiten. Dies macht die Vereinbarkeit mit dem eigenen Kinderwunsch sehr schwierig.»
Schwerer Stand in Bern
In der Politik sind die schwierigen Bedingungen, mit welchen Kitas heute konfrontiert sind, schon lange ein Thema. Anfang März stimmte eine Mitte-links-Allianz des Nationalrats dafür, dass Eltern, die ihre Kinder extern betreuen lassen, 20 Prozent der Betreuungskosten vom Bund bezahlt bekommen. Die Befürworter dieser parlamentarischen Initiative argumentieren, dass dies die Wirtschaft vorantreibe und für mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit sorge.
Der vom Bund geleistete Beitrag beläuft sich dabei auf über 700 Millionen Franken. Die Gegner sind der Meinung, dass dies die Bundesfinanzen zu sehr beanspruche und die familienergänzende Kinderbetreuung verfassungsgemäss nicht Aufgabe des Bundes, sondern der Kantone sei. Ende Sommer meldete sich die ständerätliche Bildungskommission mit einem alternativen Ansatz zur Entlastung der Eltern und schlug eine Betreuungszulage vor, die Eltern ab einem bestimmten Beschäftigungsgrad zugutekommen soll.
Am 5. Juli dieses Jahres reichte ein Komitee mit Vertreterinnen und Vertretern der politischen Linken bis zur Mitte in Bern die sogenannte Kita-Initiative ein. Die Initiative will, dass die familienergänzende Kinderbetreuung für alle Familien, falls gewünscht, zugänglich und günstiger wird. Denn was die Kosten der externen Kinderbetreuung angeht, ist die Schweiz im internationalen Vergleich Spitzenreiter.Gemäss Initiativtext soll der Bund dabei zwei Drittel der anfallenden Kosten übernehmen, und die Kostenbeteiligung der Eltern soll 10 Prozent ihres Einkommens nicht übersteigen. Zudem sollen sich die Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden in Kitas verbessern. Konkrete Ansätze zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen fehlen jedoch im Initiativtext.
Auch wenn beide politischen Vorstösse im Parlament noch einen langen und steinigen Weg vor sich haben, sind erste Schritte für einen Richtungswechsel gemacht. Neben der finanziellen Unterstützung der Eltern muss es laut Experten langfristiges Ziel der Politik sein, die Arbeit in der familienergänzenden Kinderbetreuung attraktiver zu gestalten, um das dringend benötigte Personal gewinnen und auch behalten zu können.